Ein Vierteljahrhundert z’Alp

Aita Largiadèr

Aita Largiadèr – ein Vierteljahrhundert z’Alp
«Einmal und nie wieder», dachte die junge Val Müstairerin Aita Largiadèr während ihres ersten Alpsommers des Öfteren. Mittlerweile sind es deren 25 und das Leben auf der Alp ist zu einem festen Bestandteil von ihr geworden. Die «Alpsucht» hat sie gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen.
Wenngleich die landläufige Vorstellung manchmal eine andere ist: Die Arbeit auf der Alp ist kein Zuckerschlecken. Denn immerhin ist Salz ein ziemlich bestimmendes Element. Weil der Schweiss bisweilen in Strömen rinnt. Oder der Käse damit eingeschmiert wird und ja, geht es nach den Kühen, dann frönen sie dem Salzschlecken ausgesprochen gerne. Zurück zum Zucker: Der Sommer in den Bergen mit traumhaften Sonnenuntergängen, Ruhe fern vom Grossstadttrubel, Nähe zur Natur, Arbeit mit Tieren und einfachem Leben ist
Die Milchsäurebakterien werden vorbereitet.

Wenngleich die landläufige Vorstellung manchmal eine andere ist: Die Arbeit auf der Alp ist kein Zuckerschlecken. Denn immerhin ist Salz ein ziemlich bestimmendes Element. Weil der Schweiss bisweilen in Strömen rinnt. Oder der Käse damit eingeschmiert wird und ja, geht es nach den Kühen, dann frönen sie dem Salzschlecken ausgesprochen gerne. Zurück zum Zucker: Der Sommer in den Bergen mit traumhaften Sonnenuntergängen, Ruhe fern vom Grossstadttrubel, Nähe zur Natur, Arbeit mit Tieren und einfachem Leben ist nur die eine – unbestritten schöne – Seite der Medaille. Getrübt wird das Bild des romantischen Älpler-Daseins von 14-Stunden-Arbeitstagen ohne Wochenenden, Unwettern, Sorgen um kranke Tiere und körperlich hoher Belastung. Doch was ist es, das Aita und ihren Partner Berni bereits seit einem Vierteljahrhundert dennoch jeden Sommer gerne zurück auf «ihre» Alp Prasüra im Val Müstair zurückkehren lässt?  

Morgenstund’ hat Gold im Mund… 

…und viel Arbeit parat. Denn schon um 3.30 Uhr – es ist selbst im Hochsommer noch stockfinster – ist für Aita Tagwache. Das ergibt im besten Fall sechs Stunden Schlaf, meist weniger. Von da an sitzt jeder Handgriff, sind alle Abläufe eingespielt und auf die Minute getaktet. Geht etwas schief, kommt der ganze Tagesablauf ins Wanken. Man könnte fast annehmen, der Taktfahrplan wurde ursprünglich z’Alp erfunden. Die Holzöfen für Warmwasser und Dampf müssen beheizt werden, die Milch abgerahmt und langsam im Kessel aufgewärmt, das Butterfass in Betrieb genommen und der Käse vom Vortag gewogen und im Käsekeller eingelagert werden. Ebenso gilt es, die Kulturen für die Käse-, Butter- und Joghurtproduktion vorzubereiten.  

Aita Largiadèr – ein Vierteljahrhundert z’Alp
Mit der Zeit kennen die Kühe ihren Platz im Stall. 

Währenddessen sind Älpler Berni und Hund Marc auf den umliegenden Wiesen unterwegs, um das Vieh zurück zur Alp zu treiben. Anfangs beansprucht das Einstallen mehr Zeit, nach einigen Wochen wissen die meisten Kühe, wo ihr Platz im Stall ist. So geht es dann ganz ruhig zu und her: ein Tier nach dem anderen wird von Berni, Aita und ihren beiden Mitarbeiterinnen Marianne und Marianne an seinen Platz geführt. Die älteren Damen unter den Kühen, längst schon alperprobt, finden ihren von allein. Erst wenn alle Kühe versorgt sind, gibt es auch für die Menschen eine kleine Pause. Es ist jetzt 5.30 Uhr – Zeit fürs Frühstück.  

Aita Largiadèr – ein Vierteljahrhundert z’Alp
Zweimal täglich werden die Kühe gemolken.

Ein geschlossener Kreislauf 

Als Sennin ist Aita für die Sennerei und damit für die Verarbeitung der Milch zu Käse, Butter und Joghurt zuständig. Doch, bevor es so weit ist, geht’s ans Melken der rund 50 Kühe. Eine Arbeit, die Aita besonders gerne macht: «Mich fasziniert die Gutmütigkeit und Ruhe, die diese grossen Tiere ausstrahlen. Trotz der Schellen, die sie tragen, gibt es Momente, wo es ganz ruhig ist im Stall.» Das Melken morgens und abends dauert rund 1.5 Stunden, wobei die Menge Milch, die gemolken wird, gegen Ende der Alpsaison rückläufig ist. Beim Melken werden die Tiere auch auf ihre Gesundheit kontrolliert.  

Die eingedickte Milch wird mit der Käseharfe zu Bruch zerkleinert. 
Die eingedickte Milch wird mit der Käseharfe zu Bruch zerkleinert. 

«Wenn man da nicht achtsam ist, hat das nicht nur negative Folgen fürs Tierwohl, sondern kann unter Umständen sogar dazu führen, dass ganze Tagesproduktionen Milch und Käse ungeniessbar werden.  

Geht es den Kühen gut, ist auch die Milchqualität gut», ist die Älplerin überzeugt. Für sie ist es wichtig, dass sie die Milch vor Ort verarbeitet und nicht etwa an eine Käserei abliefert. So arbeitet man auf der Alp Prasüra in einem kleinen geschlossenen Ökosystem, wo man am Ende des Tages auch etwas in den Händen hält: Milch, Joghurt, Butter und natürlich Käse.  

Schweisstreibende Käseproduktion 

Um 7.30 Uhr beginnt die Arbeit in der Sennerei. Die Sauerrahmbutter wird von Hand zu 500 g Modeln geformt, während daneben die Milch im Kessel mit Dampf aufgeheizt wird. Sobald die Milchsäurebakterien mit dem Lab bei rund 32° hinzugefügt werden, dickt die Milch. Sie wird nun mit der Käseharfe zerschnitten, sodass sogenannter Bruch (feine Körner) entsteht. Diese Körner werden kontinuierlich gerührt, bis die gewünschte Temperatur erreicht ist. Mit einem grossen Tuch erfolgt dann der Einzelauszug, d.h. die Käsemasse wird aus dem Kessel gehoben und in die vorbereiteten Formen gepresst. Ein schweisstreibendes und anstrengendes Unterfangen, das viel Übung erfordert und nicht nur Hand- sondern sogar Kieferarbeit ist!  

Mit einem Tuch wird jeder Käse einzeln aus dem Kessel gezogen.
Mit einem Tuch wird jeder Käse einzeln aus dem Kessel gezogen.
Die Käsemasse wird mitsamt Tuch in die vorbereiteten Holzformen gepresst.
Die Käsemasse wird mitsamt Tuch in die vorbereiteten Holzformen gepresst.

Bei einer konstanten Temperatur und hoher Luftfeuchtigkeit reift der Käse anschliessend im Keller und wird von nun an alle 1-2 Tage gewendet, geschmiert und gepflegt. Rund 3–3.5 Tonnen Käse und 300–350 kg Butter produziert Aita mit ihrem Team pro Saison. Ein kleiner Teil davon wird direkt «über d’Gass’» an Wanderer verkauft, der Rest wird anteilsmässig an die Bauern – gleichzeitig auch Aitas und Bernis Arbeitgeber – verteilt.  

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Tägliche Käsepflege im Keller.

Nichts ist so konstant wie der Wandel 

Auch das Älplerleben im Val Müstair war in den letzten Jahren einem grossen Wandel unterzogen: Während zu Beginn noch Vieh von rund 10 heimischen Bauern auf der Alp Prasüra war, sind es heute nur noch eine Handvoll. Der Strukturwandel macht auch auf 2'100 m ü.M. keine Pause. Unterm Strich sind es zwar ähnlich viele Tiere, die Kühe sind heute aber deutlich grösser, geben mehr Milch und fressen entsprechend mehr.  

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Kühe auf dem Weg auf die Weide nach dem morgendlichen Melken.

Gleichzeitig sind auch die Hygienestandards enorm gestiegen: «Wenn du nicht gerne putzt, bist du auf einer Alp fehl am Platz», lacht Aita schelmisch. Und tatsächlich: ist sie nicht gerade mit Melken und Käseverarbeitung beschäftigt, schrubbt die lebensfrohe Frau fleissig Böden, reinigt das Milchgeschirr und putzt die eingesetzten Werkzeuge. Dies ist essenziell, um zu verhindern, dass sich Keime einschleichen und die Qualität leidet.  

Aita Largiadèr – ein Vierteljahrhundert z’Alp
Abwasch mit Aussicht

Grosse Belastung 

«Körperlich ist so ein Alpsommer eine Grenzerfahrung. Natürlich erleichtert mir die Routine nach so vielen Jahren vieles. Dennoch merke ich, dass ich älter werde und mir die Frage stelle, ob ich das in den nächsten 10–15 Jahren noch packe», sinniert Aita. Doch das ist nicht alles: Im Sommer bringt ihr ihre Arbeit als Älplerin viele Sympathien ein. Umso trauriger stimmt sie, wie herausfordernd es ist, für die verbleibenden 8-9 Monate eine Anstellung zu finden. Der «Älplerstatus» ist nur schwierig mit einem «geregelten Leben» vereinbar. Hier wünscht sich Aita mehr Unterstützung und Flexibilität der Gesellschaft, damit dieses für alpine und landwirtschaftlich geprägte Regionen wie das Val Müstair so wichtige Kulturgut nicht verloren geht.   

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Wohlverdientes Abendessen in der gemütlichen Alpküche.

Abschied und Dankbarkeit 

Wenn Anfang Juni die Vorbereitungen für das Leben auf der Alp beginnen, ist dies geprägt von Vorfreude und einer gewissen Anspannung: Wie wird der Sommer? Während rund 90 Tagen leben Aita, Berni und ihre 1-2 Mitarbeitenden ganz im Rhythmus der Natur, «zügeln» mit all ihren Tieren von der Unteralp Marangun hinauf zur Alp Prasüra und wieder zurück. Neben den Kühen sind auch einige Mastschweine sowie ein prächtiger Hahn und seine Hennen mit von der Partie.  

Mitte September ist er dann da: der Alpabzug. Und damit auch der Tag des Abschieds, an dem die Tiere aufwändig geschmückt hinunter ins Tal nach Sta. Maria geführt werden. «Der Alpabzug ist jedes Jahr aufs Neue ein sentimentaler Tag für mich. Ich bin dankbar, wenn alles gut gegangen ist und freue mich über die Zeit, die ich auf der Alp verbringen durfte. Der Abschied von den Tieren fällt mir dabei immer schwer», erzählt Aita. Und wie schon beim ersten Mal wächst gleichzeitig das Gefühl, dass dies nicht der letzte Sommer gewesen sein soll.

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