Bergführer im wilden Val Müstair
Rudi Müller
Von der Bundeswehr zum passionierten Bergführer
Nach einer Militärlaufbahn bei der Bundeswehr wagte Rudi den Schritt an die Universität, um ein Lehrdiplom in Mathematik zu erlangen. Seine leidenschaftliche Bindung zu den Bergen begleitete ihn dabei stets, und so entschied er sich zusätzlich, die Ausbildung zum Bergführer zu durchlaufen. Egal ob in Südamerika, Alaska oder Norwegen – über Jahre hinweg erkundete Rudi beliebte Berggebiete, um als Bergführer seinen Gästen unvergessliche Abenteuer zu ermöglichen. Durch die Weiterbildung zum Bergretter und dem Planen zahlreicher Bergtouren, konnte er einen umfangreichen Erfahrungsschatz aufbauen, der ihm heute in seiner Tätigkeit zugutekommt.
Menschen helfen zu können ihre Ziele zu verwirklichen ist das schönste an meinem Beruf als Bergführer
Rudi Müller
Mit dieser reichen Erfahrung im Gepäck zog es ihn schließlich 2021 als Sekundarlehrer ins Val Müstair, das mit seiner wilden Naturlandschaft besonders zum Entdecken einlädt. Mit den Angeboten «Skitouren für Fortgeschrittene» sowie der «Skidurchquerung Val Müstair – Sesvenna», ist Rudi aktiv engagiert, um unseren Gästen die Bergwelt näher zu bringen. Auch im Sommer gibt es mit dem Angebot «Wilde Gipfel» eine passende Möglichkeit die naturbelassene Bergwelt zu entdecken.
Falls es die Wetterlage zulässt und die entsprechenden Vorkenntnisse vorhanden sind, so passt Rudi gerne die Touren den Wünschen der Teilnehmenden an. Nachfolgend zwei Erlebnisberichte solcher Touren.
Eine Skitour mit Rudi Müller auf den Piz Minschuns
Es ist ein schöner Wintertag im Februar und die Wetterlage eignet sich gut, für das geplante Vorhaben: Eine Skitour auf dem Piz Minschuns. Die Gruppe, bestehend aus Feriengästen aus dem Val Müstair sowie aus dem Unterengadin, findet sich um 08:30 Uhr beim Parkplatz Sta. Maria ein. Mit einem herzlichen «Hoi zusammen, ich bin Rudi», stellt sich der sympathische Bergführer vor. Nach einer kurzen allgemeinen Vorstellungsrunde verstaut die Gruppe alle Rucksäcke und Skis in den Shuttle-Bus.
Die Teilnehmer haben sich für eine «Skitour für Fortgeschrittene» angemeldet und bringen bereits eine gewisse Erfahrung mit. «Ein wenig frisch, nicht wahr?», schmunzelt Rudi und fügt hinzu: «Möglicherweise werden wir heute im oberen Teil Harscheisen benötigen. Bitte prüft gleich, ob ihr diese griffbereit verstaut habt.» Die darauffolgende Fahrt auf der malerischen Umbrailpassstraße führt die Gruppe ans obere Dorfende, wo eine Abschrankung den Weg versperrt.
«Hier muss ich kurz aufschließen. Im Winter ist die Straße zum Umbrailpass gesperrt. Mit Genehmigung kann man jedoch ein Stück weit hinauffahren zu unserem Ausgangspunkt der Tour – dem Gasthaus Alpenrose in Plattatschas.» Dort angekommen, überprüft der Bergführer bei allen Teilnehmenden die korrekte Funktionsweise ihrer Lawinenverschüttetensuchgeräte (LVS-Geräte). Die Tour beginnt auf der verschneiten Umbrailpassstraße und führt die Gruppe bald über die Baumgrenze hinaus, was einen malerischen Blick talwärts in Richtung Piz Daint und Piz Dora gewährt.
Entlang einer schneebedeckten Forststraße schreitet die Gruppe voran, bis sie die obere Alp Prasüra erreicht, die sich bis zum Frühling im tiefen Winterschlaf befindet. «Alles in Ordnung?», erkundigt sich Rudi bei den Teilnehmern. «Hier machen wir eine ausgedehnte Trinkpause. Bitte nehmt euch auch Zeit für eine kleine Mahlzeit, denn wir haben noch ein beträchtliches Stück vor uns, bis wir die Mittagspause erreichen. Hier beginnt das Val Costainas, und dort oben liegt unser Ziel», klärt Rudi die Teilnehmer auf.
Fast schon allein in weiter und breiter Umgebung – abgesehen von der Skitourengruppe sind lediglich noch zwei Schneeschuhgänger in dieser entlegenen Winterlandschaft unterwegs. «Hier geht es nun relativ flach weiter. Daher empfehle ich euch, die Steighilfen bei der Skibindung herauszunehmen», weist Rudi die Teilnehmenden an. Schritt für Schritt führt der Weg dann weiter in Richtung Val Costainas, hinauf und die Sicht öffnet sich hin zum Rötlspitz – dem Berggebiet rund um das geschichtsträchtige Stilfserjoch.
Nach einer Mittagspause geht es Stück für Stück weiter. Das Gelände wird steiler und die Schritte werden kleiner. Plötzlich bricht eine leichte Erschöpfung aus einem der Teilnehmer hervor, begleitet von dem Geständnis: «Das ist zu viel für mich.» In diesem entscheidenden Moment tritt Rudi, der erfahrene Bergführer hervor und versichert ruhig: «Keine Sorge, ich unterstütze dich. Es ist nicht mehr weit bis zur nächsten Trinkpause.» Die letzte Trinkpause vor dem Gipfel verbringt die Gruppe an einem sonnigen und windgeschützten Ort – ideal um Kraft zu tanken.
Bald darauf ist der Aufstieg zum Piz Minschuns, welcher auf 2934 m ü. M liegt geschafft. «Von hier aus kann man den Ortler fast anfassen!», scherzt Rudi. Auch wenn man ihn nicht anfassen kann – der Blick auf diese immense Gletschermasse des Ortlers ist wahrhaftig eindrücklich. Auf der anschliessenden Abfahrt führt Rudi die Gruppe nach rund 1200 Tiefenmetern sicher zurück an den Ausgangsort.
Mit Rudi Müller auf den Piz Murtaröl – dem höchsten Berg im Val Müstair
Auch im Sommer bietet sich das Val Müstair an ausserhalb von ausgetretenen Pfaden die wilde Region zu entdecken. Dies erfordert jedoch Orts- und Felskenntnisse – etwas was Rudi in seiner jahrelangen Tätigkeit als Bergführer stetig sammeln konnte. In seinem Angebot «Wilde Gipfel» bietet er Bergtouren in die naturbelassene Bergwelt vom Val Müstair an.
Die Tour zum Piz Murtaröl beginnt am frühen Morgen im Val Mora. Es herrscht Dunkelheit und eine gewisse Anspannung – durch die fehlende Sicht konzentrieren sich die Teilnehmenden mehr auf andere Sinne und realisieren die frische Bergluft, das Rauschen des fernen Bergbaches und den milden Sommerwind umso intensiver. «Hier lang Jungs!», trotz Stirnlampe sind die Teilnehmer froh einen ortskundigen Bergführer dabei zu haben, um die nächsten Schritte zu planen. «Nun Vorsicht beim Überqueren des Baches. Sucht nach stabilen Steinen, um den Bach sicher überqueren zu können. Schuhe ab und durch den Fluss geht natürlich auch». Noch bevor die Teilnehmenden über den mutmasslichen Witz lachen können, sieht man Rudi barfuss im Fluss – «jetzt bin ich wach – besser als jeder Kaffee!»
Die Morgendämmerung setzt ein und die Silhouetten der Berglandschaft werden erkennbar. In Richtung Val Magliavachas – dem wilden Zustiegstal zum Piz Murtaröl – geht die Tour weiter. Anfangs ist ein Pfad erkennbar aber bald darauf verliert dieser sich. Das Gelände muss nun gut gelesen werden können, um hier den besten Weg zu finden. «Hier gehen wir am besten links vom Abbruch hoch», erklärt Rudi den Teilnehmern.
Über Wiesen und Steinfeldern geht die Gruppe weiter ins Tal hinein. Um den Talkessel zu erreichen, wird noch eine Steilstufe umgangen. Bald darauf geht die Sonne über dem Bergkamm auf – zusammen mit dem Wolkenspiel entsteht eine mystische Morgenlandschaft! «Geniesst die Sonne! Hier ist es nun ideal für eine Trinkpause, bevor wir den Aufstieg durchs Geröllfeld starten», sagt Rudi zu seinen Teilnehmenden.
Die Gruppe steht nun vor einem ausgedehnten, steilen Geröllfeld. Nach einem Schritt nach vorne geht es gefühlt oft einen halben zurück. «Das Gelände ist hier ein wenig mühsam, daher reduziere ich das Tempo ein wenig», informiert Rudi.
Schritt für Schritt nähert sich die Gruppe dem Bergsattel. Die Hangneigung nimmt zu, und die Routenführung wird anspruchsvoller. Rudi weist darauf hin: «Aufgrund der Möglichkeit von Steinschlag empfiehlt es sich, jetzt die Helme aufzusetzen.» Die Route führt weiter hinauf durch einen Couloir und über eine schneebedeckte Felsflanke zum Gipfel. «Warte einen Moment, ich reiche dir das Seil», ruft Rudi und unterstützt kurz darauf einen Teilnehmer beim Aufstieg zum Bergsattel.
Auf dem Sattel angekommen, wird der Blick frei auf den majestätischen Piz Murtaröl – mit einer beeindruckenden Höhe von 3.180 Metern über dem Meeresspiegel der höchste Berg im Val Müstair. «Um für erhöhte Sicherheit zu sorgen, seilen wir uns nun an. Die letzte Passage erfordert erhöhte Konzentration», stellt Rudi klar.
Er übernimmt als Bergführer die Führung der 3er-Seilschaft durch das anspruchsvolle Gelände. Mit einem klaren Blick für Sicherheit und Teamdynamik sorgt Rudi dafür, dass jeder Schritt der Gruppe nicht nur aufregend, sondern auch sicher ist.
Nach dem Felsgrat steigt die Gruppe durch ein Felsband zum Gipfel Piz Murtaröl hoch. Die totale Übersicht der umliegenden Bergwelt wird frei und auch der Verlauf der Landesgrenze wird ersichtlich.
Vom Gipfel des höchsten Punktes im Val Müstair aus offenbart sich eine atemberaubende Aussicht, mit Bergketten soweit das Auge reicht. «Gut gemacht Jungs, ihr habt euch diese beeindruckende Aussicht redlich verdient!» Nach einem sicheren Abstieg fühlt sich der Bergführer, erfüllt. Die Freude darüber, zwei Berggänger auf ihrem Weg zu begleiten und zu unterstützen, spiegelt sich in den strahlenden Gesichtern der Berggänger wider. Rudi erkennt den Wert seiner Rolle nicht nur in der Führung der Teilnehmer, sondern auch darin, die Entdeckerlust seiner Gäste am Lodern zu halten.
Text und Bilder: Tobias Cueni