Gelebte Tradition
Chalandamarz
Die Wahlen
Jährlich am Tag von Karl dem Grossen, am 28. Januar, steigt die Spannung. In der Schule finden die Wahlen statt. Die Oberstufenschüler*innen wählen Kommandat*in und Vize-Kommandant*in. Ein wichtiger Tag – die Wahl soll gut überlegt sein, denn die beiden Gewählten tragen die Hauptverantwortung für die Durchführung des Chalandamarz. Früher durften für diese Ämter nur die Jungen der 9. Klasse gewählt werden, doch vor ein paar Jahren wurde diese Regel angepasst und nun dürfen sich auch Mädchen zur Wahl stellen. So kam es dazu, dass der Chalandamarz 2024 von Marino als Kommandant und Lina als Vize-Kommandantin angeführt wurde.
Der Tagesablauf
Der Tag beginnt für Marino und Lina und natürlich auch für die übrigen Schulkinder früh am Morgen. Gestärkt mit einem guten Frühstück und in vollständiger «Chalandamarz-Montur» mit seiner Ausrüstung gekleidet, begibt sich Marino aus dem Haus und fährt mit der grösseren Gruppe der Schulkinder mit dem Bus nach Tschierv, wo der erste Umzug bevorsteht. Die Kinder, ebenfalls alle mit der vollständigen Ausrüstung gekleidet mit blauem Bauernhemd, rotem Halstuch und roter Zipfelmütze gekleidet, tragen ihre ausgewählten Kuhglocken mit sich. Je älter das Kind, desto grösser die Kuhglocke. Die Glocken wählen die Kinder selbst aus und gehen dafür extra zu einem Bauer oder einer Bäuerin im Ort. Ausgenommen die Kinder der Oberstufe, diese bekommen ihre Glocken von der Vize-Kommandantin, Lina zugeteilt. Eine anspruchsvolle Aufgabe, denn schliesslich sollen alle teilnehmenden Kinder ihre Glocke tragen und einen schönen Chalandamarz erleben können. Der Umzug beginnt zuoberst im Ort und zieht sich anschliessend durch die Strassen von Tschierv bis zum Ende der Fraktion. Auf den Dorfplätzen wird gesungen, und die Kinder tragen Chalandamarz-Gedichte im romanischen Dialekt Jauer vor. Diese Gedichte sind oft gespickt mit witzigen Anekdoten und amüsanten Geschehnissen vom vergangenen Jahr, die die Zuhörer immer wieder zum Lachen bringen. Während einige der älteren Kinder die Peitschen knallen lassen, wartet nach dem Umzug der Bus auf die Gruppe, um alle in den nächsten Ort, nach Fuldera, zu fahren.
Lina hingegen macht sich am frühen Morgen mit einer etwas kleineren Gruppe auf den Weg nach Lü, der höchstgelegenen Fraktion im Val Müstair, und führt dort den Umzug durch die Gassen. Nach dem Umzug fährt Lina gemeinsam mit ihrer Gruppe mit dem Bus zurück ins Tal, nach Fuldera. Dort werden sie bereits von Marino und den übrigen Kindern erwartet.
Gemeinsam geht es weiter durch Fuldera, wo am Ende des Umzugs eine Stärkung auf die Kinder wartet. Frisch gestärkt fahren die Kinder dann nach Valchava gefahren und schlussendlich zum wohlverdienten Mittagessen ins Schulhaus von Müstair.
Kurz vor 13:00 Uhr geht es für die Kinder dann weiter. Sie begeben sich zum Plaz Grond, nahe dem Kloster St. Johann, wo sie von zahlreichen Besucher*innen bereits erwartet werden. Nadem die Kinder gesungen und ihre Gedichte vorgetragen haben, werden sie von Lina und Marino anschliessend in Reihen aufgestellt. Jedes Kind weiss genau, wo es hingehört; schliesslich konnten sie dafür bereits in den vorherigen Ortschaften üben. Für Marino ist ein Treppchen, dekoriert mit bunten Chalandamarz-Blumen, ganz vorne platziert. Die Aufregung steigt; Marino begibt sich auf das Treppchen, zieht sein Schwert und hält es in die Luft. Pünktlich um 13:00 Uhr, mit dem Schlag der Kirchenglocke, zieht er sein Schwert nach unten und die Kinder marschieren unter dem wachsamen Auge von Lina Richtung Ortsausgang los. Dort angekommen, werden sie erneut vom Bus erwartet. Dieser fährt die Kinder weiter nach Sta. Maria zum letzten Umzug des Tages.
Das Highlight: Der Ball
Der krönende Abschluss des Chalandamarz ist wohl zugleich auch das absolute Highlight für die Kinder – der Ball. Die Oberstufenschüler*innen feiern im Schulhaus in Sta Maria, organisiert von der 9. Klasse, die Kinder vom Kindergarten bis zur 6. Klasse feiern im Schulhaus in Müstair. Hier wird der Ball von der 6. Klasse organisiert. Beide Feiern stehen jedes Jahr unter einem Motto. Entsprechend fallen sowohl der Kleidungsstil als auch die Dekoration aus. Feines Essen wird serviert, es wird getanzt und es werden Spiele gespielt. Dazu eingeladen werden natürlich auch die Lehrpersonen, die, wie seit jeher, die Organisation des gesamten Chalandamarz den Kindern überlassen und sich nur einbringen, wenn Hilfe oder Unterstützung benötigt wird.
Eine Tradition, die von den Kindern gelebt und über Generationen weitergetragen wird.
Eviva noss Chalandamarz!
Bilder: Dominik Täuber
Text: Stephanie Ulayayi